Abbildung 1: Vorrangmodell der Nachhaltigkeit, eigene Darstellung in Anlehnung an Landeszentrale für politische Bildung BW (2024)
Zwischen der Nachhaltigkeits-Transformation und der digitalen Transformation gibt es sowohl große Überschneidungspunkte als auch klare Unterschiede. Während die Potenziale und der wirtschaftliche Mehrwert der Digitalisierung bei Unternehmen sehr präsent ist, wird das Thema Nachhaltigkeit oftmals als “notwendiges Gebot” der aktuellen Zeit (beispielsweise in Form von gesetzlichen Regelungen) wahrgenommen – die damit verbundenen Potenziale geraten dabei leider schnell in Vergessenheit. Dennoch haben die digitale und nachhaltige Transformation gemeinsam, dass bestehende Patterns grundlegend hinterfragt und teils völlig neue Ansätze ausprobiert werden müssen. Damit geht oftmals eine erhebliche Veränderung des Unternehmens einher und damit verbunden ist auch immer die Möglichkeit Fehler zu machen und zu scheitern. Doch den Kopf in den Sand zu stecken und beim Status Quo zu verharren ist keine Alternative. Vielmehr ist die klare Definition von Zielen sowie eine methodisch saubere Herangehensweise (ganz nach dem Motto “gehe langsam, wenn Du’s eilig hast”) der Schlüssel zur erfolgreichen Gestaltung dieser Transformations-Felder. Ein bewährter Ansatz, um die Themen gemeinsam zu denken und zu gestalten, ist der Dreiklang aus Produkt, Prozess und Geschäftsmodell. Im Folgenden beleuchten wir diese drei Aspekte näher.
Wo setzt man als Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit am besten an?
Ein bewährter Einstiegspunkt ist die gezielte Suche nach Synergien zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, um maximale Akzeptanz und auch Vertrauen innerhalb des Unternehmens zu schaffen. Das Produkt selbst stellt dabei die erste Ebene der Nachhaltigkeits-Transformation dar. Traditionell sind Marktbedürfnisse, Wettbewerbsfähigkeit sowie Kosten die zentralen Treiber einer Produkt(weiter)entwicklung. Diese Aspekte stehen auch weiterhin im Fokus – jedoch hat das Thema Nachhaltigkeit großen Einfluss auf jeden Einzelnen davon. Hier eröffnen sich beispielsweise neue Chancen für eine Differenzierung des Produkts. So können u. a. genutzte Materialien und Rohstoffe überprüft und gegen ökologische Alternativen ausgetauscht, Verpackungen angepasst oder minimiert, die Lebensdauer verlängert oder die Energieeffizienz gesteigert werden.
Und genau an dieser Stelle können digitale Technologien unterstützend zum Einsatz kommen, um z. B. Verbesserungen der Nachhaltigkeit durch ein automatisiertes und digitales Nachhaltigkeits-Reporting transparent zu machen oder mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) die Qualität bzw. Langlebigkeit eines Produkts zu bestimmen und zu verbessern. Ein sehr anschauliches Beispiel für die Entwicklung nachhaltiger Produkte im Bereich der Zerspanungstechnik sind die Fräser von CERATIZIT. Einige Vollhartmetall Fräser werden aus einer speziellen Metallsorte hergestellt, wodurch ein deutlich reduzierter CO2 Ausstoß nachgewiesen werden kann. Ermöglicht wird dies, in dem die spezielle Metallsorte zu überwiegenden Teilen aus hochwertigen Sekundärrohstoffen besteht. Gleichzeitig gibt es keine Einbußen bei der Produktqualität und -performance und die Kunden profitieren sogar von den ausgewiesenen CO2-Zertifikaten (Ceratizit, 2024). Doch beim Produkt selbst endet die Nachhaltigkeits-Transformation noch nicht.
Welche Rolle spielen Prozesse und das Thema Kreislaufwirtschaft im B2B Kontext?
Die zweite Ebene der Nachhaltigkeits-Transformation fokussiert sämtliche Prozesse und Abläufe in einem Unternehmen. Anstatt nur das Produkt anzupassen und weiterzuentwickeln, werden alle Prozess-Bestandteile betrachtet. Das kann von der Gewinnung der Rohstoffe, über Produktionsprozesse bis hin zum End-of-Life-Management gehen. Prozesse sind dabei selbstverständlich eng mit den jeweiligen Produkten verknüpft. So bringt die Betrachtung von Produktlebenszyklen beide Ebenen zusammen und betrachtet Produkte mit ihrer kompletten, zugehörigen Wertschöpfungskette. In diesem Zusammenhang wird oft das Thema Kreislaufwirtschaft aufgegriffen. Hierbei wird nicht nur eine Verbesserung der Effizienz und Nachhaltigkeit angestrebt, sondern das Ziel besteht darin Ressourcen möglichst lange in einem Nutzungskreislauf zu halten, sodass idealerweise mehrere Nutzungszyklen innerhalb eines Produktlebenszyklus stattfinden. Damit das gelingt, müssen Prozesse unternehmensübergreifend betrachtet werden. Digitale Technologien bieten in all diesen Bereichen ebenfalls große Potenziale – beispielweise durch digitales Monitoring, automatisierter Informationsaustausch zwischen Unternehmen oder KI-basiertes Analysieren von Abfällen zur Maximierung der wiederverwendbaren Bestandteile.
In der Industrie ist die Optimierung von Prozessen und Abläufen seit jeher ein zentrales Thema und wurde in vielen Bereichen längst perfektioniert. Es gibt aber immer mehr Beispiele, wie diese klare Stärke mit den Themenfeldern Nachhaltigkeit und Digitalisierung verknüpft wird. “Condition Monitoring” bzw. “Predictive Maintenance” bezeichnet im Maschinenbau das digitale Überwachen des technischen Zustands einer Maschine und ist ein prominentes Beispiel zur weiteren Optimierung von Produktionsprozessen. Dadurch können bestimmte Verschleißteile der Maschine maximal lange genutzt werden, da diese abhängig vom tatsächlichen Verschleiß und nicht nach einem festen Wartungsintervall ausgetauscht werden. Und das Ganze ohne ungeplante Stillstände zu riskieren. Ein weiteres Beispiel aus dem Maschinenbau ist unser Kunde und Partner TRUMPF mit seinem Service “Xchange”. Hierbei werden ausgetauschte Ersatzteile für Maschinen aufbereitet und wieder als neues Ersatzteil in den Umlauf gebracht. Dadurch erhält das Ersatzteil mehrere Nutzungszyklen innerhalb des Gesamtlebenszyklus (Stichwort “Kreislaufwirtschaft”). Gleichzeitig profitieren die Kunden von vergünstigen Preisen für das Ersatzteil – eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten (Trumpf, 2024).
Warum sind manche Unternehmen nachhaltiger als andere und welche Potenziale bietet dabei Geschäftsmodellinnovation?
Das feste Verankern von Nachhaltigkeit im gesamten Geschäftsmodell stellt die dritte und letzte Ebene der Nachhaltigkeits-Transformation dar und hat nach unserer Erfahrung den maximalen Hebel. Dabei werden sämtliche Dimensionen eines Geschäftsmodells – vom Wertversprechen bis hin zur Erbringungsstruktur – nicht nur hinsichtlich der ökonomischen Dimension betrachtet (so wie wir es von gängigen Tools wie dem Business Model Canvas kennen), sondern auch hinsichtlich der ökologischen und sozialen Dimension. Grundlegend gibt es zwei Zielsetzungen bzw. Ansatzunkte für nachhaltige Geschäftsmodelle:
- Die Minimierung aller negativen Auswirkungen eines Geschäftsmodells auf die drei Nachhaltigkeits-Dimensionen (hier gibt es große Überschneidungen mit den bereits ausgeführten Ansatzpunkten auf Produkt- und Prozess-Ebene).
- Die Maximierung von positiven Auswirkungen eines Geschäftsmodells auf die drei Nachhaltigkeits-Dimensionen.
Es ist aus Nachhaltigkeits-Aspekten natürlich immer erstrebenswert, dass die positiven Auswirkungen die Negativen überwiegen. Hier muss allerdings beachtet werden, dass nicht alle Geschäftsmodelle das gleiche “Nachhaltigkeitspotenzial” haben. Hierzu eine kurze Erklärung anhand eines konkreten Beispiels: Ein produzierendes Unternehmen in einer energieintensiven Branche hat aufgrund des erhöhten Ressourcenverbrauchs per se deutlich negativere ökologische Auswirkungen als ein Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich. Vergleiche zwischen Unternehmen sowie die Definition von Zielsetzungen und Benchmarks sind daher immer relativ anzustellen und müssen unter Berücksichtigung der jeweiligen Branche und der verfügbaren Alternativen betrachtet werden.
Ungeachtet dessen sind wir davon überzeugt, dass jedes Unternehmen mit Hilfe von Geschäftsmodellinnovation neue und nachhaltige Potenziale erschließen kann, deren positive Auswirkungen auf die 3Ps (Planet, Profit & People) die Negativen überwiegen. Und auch an dieser Stelle kann Digitalisierung wieder ein entscheidender Enabler sein. Beispielsweise zeigt das Start-up Optocycle eindrucksvoll, wie dieser Ansatz auch in einer sehr konservativen Branche, der Bau-Branche, gelingen kann. Das junge Unternehmen aus Tübingen entwickelt eine Software, die mit Hilfe von optischen Erkennungssystemen und Künstlicher Intelligenz (KI) mineralische Bauabfälle analysiert und somit die Wiederverwendungs-/Recycling-Quote deutlich erhöht (Stichwort Kreislaufwirtschaft). Dies reduziert die Notwendigkeit des Abbaus natürlicher Ressourcen erheblich und ist daher auch wirtschaftlich sinnvoll.
Ein weiteres Beispiel aus dem Industrie-Umfeld ist unser Kunde und Partner Phoenix Contact, der in enger Zusammenarbeit mit uns ein Geschäftsmodell entwickelt hat, das die Abrechnung von privat geladenen E-Dienstfahrzeugen vereinfacht. Ein echter Vorteil ist dabei, dass vorhandene Wallboxen einfach und rechtssicher nachgerüstet werden können, statt diese durch ein neues Modell zu ersetzen.